dieser Artikel von Goedart Palm, geschrieben am 14.08.2010, bei Heise     http://www.heise.de/tp/artikel/32/32983/1.html      ist gespiegelt und leicht gekürzt / bearbeitet
 

Teil IV:  Das Diesseits als Jenseits

Die Idee plural geschalteter Welten erlöst die hiesige Existenz [des Menschen] zwar nicht so paradiesisch von aller Unbill, wie es die Weltreligionen verheißen, aber doch so, dass die schwer erträgliche "Geworfenheit" (Martin Heidegger) in diese vermeintlich einzige Welt der Irrungen und Wirrungen zur vorwissenschaftlichen Perspektive verkümmern könnte.

Die Verkopplung der kosmischen Bauweise mit der individuellen Existenz bietet zwei Perspektiven, die den Vorstellungskreis unserer Erfahrungswelt besonders provozieren: So behauptet David Deutsch, der den Begriff des Multiversums in seiner aktuellen Bedeutung entwickelt hat, dass gute Entscheidungen den jeweiligen Wahrscheinlichkeitsstrang multiversaler Existenz verstärken. Kurz gefasst: Gutes gebiert Gutes, Böses Böses. Die Wahrscheinlichkeiten eines sinnvollen Lebens in möglichst vielen Welten reduziert die katastrophischen Varianten. So könnten sich Doppelgänger entweder durch ethische Solidarität quantenmechanisch wechselseitig helfen oder im räumlich geschlossenen Multiversum-Modell schließlich doch vormals für unüberwindlich gehaltene Distanzen überbrücken.

Hier wie dort prägt der "dual use" die moralische Qualität der Parallelwelten: Philip K. Dick ließ in seinem literarischen Paralleluniversum die dunkle Fantasie zu, dass der Göring eines siegreichen Nazi-Deutschlands seinem scheiternden "alter ego" Hilfstruppen schickte. Für Sinnsucher dürfte dagegen die Perspektive interessanter sein, dass ein unendliches, ewig inflationäres Universum auch ewiges, allerdings diesseitiges Leben bietet. Denn Neu- bzw. Wiedergeburten "unseres" Universums in identischen Kopien oder in Varianten, die permanent zeitversetzt entstehen, geben jedem Individuum die (Überlebens) - Perspektive auf ewige Wiederkehr. Diese Idee ist für Wiedergeburtsreligionen wie den Hinduismus, aber auch für den "Zarathustra" Friedrich Nietzsches eine geläufige Tatsache.

Physik und Kosmologie übernehmen mit der bizarren Theorie des "Multiversums" vorläufig die Welterklärungshoheit, mit der das provoziert wird, was Philosophie, Theologie und Mythologie bisher im Maßstab irdischer Zuständigkeiten konstruiert haben. Der nun durch unzählige Parallelzustände überbotene Schöpfungsmythos ist indes weit mehr als ein mathematisches oder physikalisches Spekulationsobjekt, zugleich ist es ein projektiver Horizont der Wünsche und Ängste, der die positivistische*  Entzauberung der Welt wieder zurücknimmt. Jene irdischen Zustände, die wir als Mangel erfahren, könnten nur eine Variante unserer Seinsweisen sein. Auch zu diesem Aspekt des Multiversums gibt es Vorläufer wie etwas Platons berühmte, auch quantenmechanisch plausible Erzählung der getrennten Doppelwesen (beschrieben in seinem "Gastmahl"), die ständig auf der Suche nach ihrem Widerpart sind. Die perfekteste aller möglichen Welten erkennen wir nun in einem Metareich, das von den konkreten Existenzen abstrahiert und uns als multiple Wesen neu erfindet.

Immerhin gehört zu diesem neuen multiplen Sein weit über den Beobachtungshorizont hinaus auch die Hoffnung auf eine bessere als die vorgefundene Welt, sodass eine Intuition bleibt, selbst wenn das "Multiversum" dieser oder jener Bauart eine unbestätigte Hypothese bleiben sollte: Menschen haben in ihren Innenräumen schon je das Multiversum ihrer erwartungsvollen Existenzentwürfe konstruiert und damit das vollzogen, was Mathematik, Physik und Kosmologie noch nicht letztgültig überprüfen können, aber mit immer plausibleren Annäherungen an die Wirklichkeit aufzuspüren hoffen.
 
 

* Positivismus =
 

Quelle Telepolis > Magazin http://www.heise.de/tp/artikel/32/32983/1.html
 

zur Startseite der UE:  Universum, Quanten und Schöpfungsbericht